gehen wir zu Dir oder zu mir? – Das Setting der Nachbarschaftsmediation

Naturgemäß drehen sich Nachbarschaftskonflikte um das traute Heim. Um jene Konfliktherde, die wohl am besten zu verstehen sind, wenn man die räumlichen Gegebenheiten kennt und daher auch gut versteht. Daher bietet es sich an, den Locus Delicti, also die betreffende Wohnung auch im Rahmen der Mediation in Augenschein zu nehmen. Sollte man glauben..

Nun, ich gebe ja zu, dass ich hier wieder einmal nur für mich persönlich sprechen kann, schon allein, weil ich genau weiß, dass ein sehr geschätzter lieber Kollege die hohe Kunst der Hausbesuchsmediation zur Perfektion geführt hat. Leo, ich bewundere Dich… ich muss ja nicht all Deine Methoden kopieren…

Ich war allerdings erst kürzlich anlässlich einer „Factfindingmission“ im Rahmen einer Mediation vor Ort und möchte diesen Fall zum Anlass nehmen, meine Sichtweise darzulegen:
Unser erstes Treffen fand in den Räumlichkeiten der Hausverwaltung statt, hier war ich der „Hausherr“, bzw. bin ich in diesen Räumlichkeiten unzweifelhaft öfter zu finden, als die beiden so lärmgeplagten Nachbarn. Ich begrüße, ich empfange, ich biete den Medianden ein Mineralwasser an, nun ich gebe den Gastgeber. Hier bin ich der Chef, hier gebe ich auch als Mediator die Regeln vor. Im Gegensatz zur Wohnung der Partei: Hier gebietet die Erziehung ein anderes Gehabe, hier bin ich zwar einerseits als Mediator Chef des Verfahrens, als Mensch bin ich aber Gast und als Gast der zurückhaltenden Höflichkeit verpflichtet.
Ein weiterer Aspekt ist freilich auch die Gefahr, die eigene Wahrnehmung zu ernst zu nehmen: ein kleines Beispiel: Während die Parteien dahingehend einig waren, dass eine wiederum 3. Partei des Öfteren mit hammerähnlichen Geräuschen die Ruhe stören würde, konnte ich, als ich in der betreffenden Wohnung zugegen war, dieses Geräusch kaum ausmachen, wenngleich die Medianden betonten, dass es gerade wieder „ganz arg“ sei. “ ich bitte Sie, das ist doch nun wirklich nicht zu hören“ war ich versucht zu sagen, doch gerade dies steht mir als Mediator nun nicht zu. Ich bin keinesfalls der Richter, oder der Sachverständige, ob ein Geräusch nun erträglich oder enervierend ist, nein mich interessiert schlicht, wie es den Medianden damit geht. Lasse ich meine persönliche Sichtweise oder auch nur eine „objektive“ Messung der Lautstärke über ein Dezibelmessgerät über die Probleme der Menschen entscheiden, so nehme ich ihre Bedürfnisse und ihre Wahrnehmung nicht ernst. Meine Messgeräte sind meine Augen und mein Instinkt, mein Gefühl für den Konflikt und für die Medianden. Ich will Ihnen, ich will Euch helfen und nicht darüber richten, ob ein von dritter Seite definierter Richtwert überschritten wird oder nicht.

Was sind nun meine Fixpunkte? Wonach richte ich mich?
Gerne folge ich in meinem persönlichen, wie aber auch beruflichen Denken dem watzlawick´schen Konstruktivismus. Nicht die „Wirklichkeit erster Ordnung“ bestimmt unsere Wahrheit, nicht die reine Mathematik und die Klarheit der Physik bzw. Chemie in der unzweifelhaften Darstellung der Atome, sondern vielmehr die „Wirklichkeit zweiter Ordnung“. Diese ist von persönlichen Filtern geprägt, wie beispielsweise gemachten Erfahrungen, Erwartungen, Sichtweisen, oder im Falle ihres Autors von der Tatsache, dass die Welt bei einer Sehschwäche von 5 Dioptrien mit Brille bedeutend schärfer aussieht, als ohne.
Nein mir geht es nicht um die Wahrheitsfindung, dies maße ich mir nicht an. Ich nehme die Wahrheit der Medianden und arbeite damit. Aber eben lieber in meinen Räumlichkeiten als in den ihren. Denn höflich bin ich als Mediator lieber als Gastgeber, denn als Gast.

Dank des Mediators an die Mediation

Wir sind für andere da

Wir sind als Mediatoren für andere da. Für unsere Medianden, für jene, die sich an uns wenden, um ihre persönlichen Konflikte zu lösen.
Hierfür braucht es eine Persönlichkeit, die auch in sich gefestigt ist, um eine gewisse Ruhe ausstrahlen zu können. Doch gibt es nicht nur die Wirkung der Persönlichkeit des Mediators auf die Medianden, sondern vielmehr auch umgekehrt. Die Arbeit mit den Medianden, die Mediation an sich hat auch Einfluss auf die Persönlichkeit des Mediators bzw. der Mediatorin.

Was können als wir durch unsere Arbeit für unser privates Leben lernen?

Nein, ich kann nicht für andere sprechen, nur von mir bzw. über mich.

Persönliches

Erst ein wenig zu meiner persönlichen Herangehensweise an die Mediation. Ich lache gerne, im privaten aber auch in der Mediation. Warum sollte ich Menschen die aufgrund einer konfliktbeladenen Situation den Weg zu mir finden, auch noch mit trauriger Miene entgegen treten?
Die Medianden wissen um Ihren Leidensdruck auch ohne, dass ich ihn permanent betone. Nicht ich muss sie darauf hinweisen, sondern das wechselseite Verständnis der Parteien für die Situation der anderen Seite wecken. Daher sehe ich es als meine persönliche Aufgabe, auf den positiven Ausgang zu schielen, diesen bereits am Anfang der Mediation in Aussicht zu stellen.
Ja, ich bin hier optimistisch eingestellt und nein.. nicht immer habe ich damit recht. Doch persönlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass dieser Optimismus auf die Mediandinnen und Medianden überspringt und so auch zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird.

Was aber lerne ich aus der Mediation?

Dass es keine Widersprüche, sondern nur Missverständnisse gibt, dass unüberbrückbare Schluchten dann enden, wenn man gemeinsam parallel zu deren Ausgangspunkt wandert. Hier geht es dann nicht immer nur um die Lösung des bekannten Konflikts, sondern auch um alle Erkenntnisse und Erlebnisse, die am Weg liegen. So erlebe ich es oftmals, dass ihm Rahmen einer Nachbarschaftsmediation die zerstrittenen Nachbarn erstmals auf Gemeinsamkeiten stoßen, noch lang bevor der zugrundeliegende Konflikt geklärt, das Ende der Schlucht erreicht ist.
Ich habe gelernt, dass selbst meine Sichtweise nicht objektiv sein muss. Bei aller Erfahrung und allem Wissen um meinen eigenen Standpunkt bringt es in der Regel viel, auch die Meinung meines Gegenübers anzuhören und gelten zu lassen. Nicht nur aus taktischen Gründen, sondern um zu lernen, um meinen eigenen Horizont auch zu erweitern.
Selbst unter der Annahme, die Wahrheit in jeglicher Facette mein Eigen nennen zu können wäre es bereichernd, die Sichtweise eines anderen zu erfahren. Wenn ich sie auch nicht teile, so ist sie doch unzweifelhaft legitim und daher interessant.
Nein, freilich nehme ich nicht an, die Wahrheit zu kennen, dieses Privileg sei anderen gelassen, die rein sachbezogen und ohne Emotionen argumentieren wollen, die um den „Punkt“ wissen. Ich bin dazu zu subjektiv und stehe dazu.
Und will dazu lernen, ich interessiere mich für die Menschen und ihre Regungen, ich denke, diese zu lesen habe ich zwar nicht durch die Mediation gelernt, aber im Rahmen meiner Tätigkeit geübt. Die Fähigkeit, im Gespräch die Intonierung, Gestik, Mimik zu deuten wird in der Mediation permanent geschult. Hier bin ich meinen Medianden immens dankbar.

Ich durfte lernen

Ich durfte lernen, meine Standpunkte zu hinterfragen, schließlich fordere ich es auch von den Medianden ein, durfte erfahren, wie im Rahmen der bedürfnisorientierten „gewaltfreien Kommunikation“ der Blick auf die eigenen inneren Bedürfnisse das Gespräch dann in ehrliche, offene und empathische Bahnen lenkt.

Danke

Und dafür danke ich der Mediation, danke ich den Mediandinnen und Medianden, all meinen Kolleginnen und Kollegen aber insbesondere jener Kollegin, die mir vor nun schon über 20 Jahren zufällig in einem Gespräch in der Mediation erstmalig erzählt hat.

Danke Euch!